Hier eine besondere Geschichte für Kinder, die eine räumliche Veränderung , vielleicht ein Umzug oder das Leben in zwei Alltagswelten nach einer Trennung der Eltern erfahren haben.
Ich habe diese Geschichte für unsere Waldgruppe, die „Moosflitzer“ geschrieben, als wir unseren vertrauten und liebgewonnenen Waldplatz verlassen haben und umgezogen sind in unser Winterquartier am anderen Ende des Waldes.
Geschichte vom Neubeginn
Es wird Herbst im Land des Flusses, der Bäume und Tiere. Das Laub färbt sich gelb und rot und braun und die Nächte werden kühler.
Mittendrin steht das alte Dorf mit vielen Tipis, in denen die Menschen mit ihren Kindern leben.
Auch das Mädchen “Mo-Fli” lebt dort mit seiner Mama, seinem Papa, der Schwester, dem Bruder, seinen Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen. Ganz besonders mag Mo-Fli ihre Großmutter – eine alte freundliche Frau, die fast alles weiß und im Dorf zusammen mit dem Großvater das größte Tipi bewohnt.
Mo-Fi kennt sich gut aus in ihrem Tipi-Dorf:
Da gibt es…
– den kleinen Fluss, in dem sie stehen und kleine Fische fangen kann.
– den Lieblingsbaum, auf den Mo-Fli gerne kletterte.
– den Hasen mit den weißen Ohren, der jeden Tag vorbei gehoppelt kommt.
– die warmen Sonnenstrahlen.
– das Tipi, in dem sie lebt und mit Mama, Papa und den Geschwistern schläft.
– die großen Graswiesen.
Wisst ihr, welche großen Tiere dort auf den Wiesen grasen?
Genau, die Bisons!
Die Menschen leben immer dort, wo die Bisons sind, denn sie brauchen die Bisons für ihr Leben (Felle wärmen sie in der Nacht, das Fleisch essen sie, aus Knochen stellen sie Schmuck her und aus Leder fertigen sie Schuhe und die Haut für die Zelte…)
Nun ist es Herbst. Das Gras ist längst abgefressen. Nur noch kleine Stummel ragen aus den Wiesen. Deshalb zieht die Bisonherde weiter…
Eines Tages hörte Mo-Fli einen Ruf (Krähenruf machen). Kennt ihr den?
Und Mo-Fli weiß sofort, wer so rufen kann: Ihre Großmutter!
Immer wenn die Menschen im Dorf diesen Ruf hören, kommen sie herbei, denn die Großmutter hat dann etwas wichtiges zu sagen.
Und richtig! Sie zeigt in die Ferne zu den Bisons, die sich auf den Weg machen zu anderen Wiesen, die noch saftig und grün sind.
Alle versammeln sich im großen Tipi. In der Mitte brennt ein wärmendes Feuer.
Die Großmutter spricht:
“Die Bisons ziehen weiter und wir werden ihnen folgen. Macht alles bereit, denn morgen werden wir mit ihnen ziehen.”
Dann verlassen alle das große Zelt und legen sich in ihren Tipis zum Schlafen auf die dicken kuscheligen und warmen Bisonfelle. Noch lange brennt das Feuer, während Mo-Fli durch den Rauchabzug oben im Tipi zu den Sternen schaut. Müde vom Sternenblinzeln schläft auch Mo-Fli irgendwann ein.
Früh am nächsten Morgen beginnen die Menschen, alles zusammen zu packen.
Mo-Fli wird wach, reckt sich im Bisonfell und krabbelt aus dem Tipi.
Ein bisschen traurig butschert sie zu ihrem Lieblingsbaum, klettert über einen Stammknorpel auf den nächsten Ast, hält sich fest und zieht sich auf einen noch höheren Ast nach oben – dorthin, von wo aus sie den kleinen Fluss sehen kann, in dem sie die kleinen Fische fängt.
Mo-Fli umarmt ihren Baumfreund ganz fest und flüsterte “Leb wohl” in seine Rinde.
Und wisst ihr, wer nochmal vorbei gehoppelt kommt?!?
Jaaa! Der Hase mit den weißen Ohren!
Auch dem Hasen flüstert Mo-Fli ein leises “Leb wohl” zu. Ob der Hase das wohl hört?
Im Tipi-Dorf bauen die Menschen die Zelte ab, verpacken alles auf ihren Pferden und als alles fertig ist, hört Mo-Fli wieder den ganz besonderen Ruf (Krähenruf).
In der Mitte steht die Großmutter und zündet in einer großen Muschelschale ein kleines Räucherfeuer an. Duftender Rauch steigt empor. Dann beginnt die Großmutter zu singen. Sie singt ein besonderes Lied für den Platz, an dem die Menschen lange Zeit gelebt haben. Und dieses Lied klingt ein bisschen traurig und auch ein bisschen glücklich.
Dann wird Mo-Fli vom Großvater auf ihr Lieblingspony gesetzt – es ist weiß mit schwarzen Flecken. Mo-Fli kennt es schon, seit sie laufen kann und das ist schon ganz schön lange her :o)
Als die Großmutter die Trommel sanft schlägt, machen sich alle auf dem Weg.
In einer langen Karawane ziehen sie den Bisons hinterher. Viele reiten auf Pferden, mache gehen zu Fuß. Alles, was sie besitzen, tragen sie mit sich mit. Mo-Fli darf auf ihrem Pony reiten und wird ganz schön durchgeschaukelt :o)
In der Ferne sehen sie die Büffel und folgen ihnen.
Nachdem sie eine lange Zeit geritten und gelaufen sind, hören sie plötzlich den besonderen Ruf der Großmutter (Krähenruf). Alle blicken auf sie.
Die Großmutter zeigt in die Ferne. Dort haben die Bisons eine saftige und grüne Wiese gefunden, alle Tiere grasen dort zufrieden und bleiben an diesem Ort.
In einem schönen Tal in der Nähe errichten die Menschen nun ihr neues Lager.
Sie stellen die Tipis auf, tragen Feuerholz zusammen und bereiten sich auf den ersten Tag auf ihrem neuen Platz vor:
Erst einmal bekommen die Pferde, die so viel getragen haben, Wasser, denn sie haben großen Durst nach dieser langen Reise.
Die dicken Bisonfelle legen sie in die Tipis, es wird draußen am Feuer Essen gekocht und wisst ihr, was Mo-Fli als erstes macht?
Sie butschert los und entdeckt einen großen Baum, der beschützend seine Äste über sie hält. Ob der hier wohl auch so einen dicken Stammknorpel hat?
Mo-Fli schleicht vorsichtig um den dicken Baum herum und ……entdeckt…..(!?) Richtig! Einen Knorpel!
Gleich setzt sie ihren Fuß darauf, zieht sich hoch, fasst nach und stemmt sich auf einen dicken Ast. Dort sitzt sie und schaut hinüber zu den Tipis, aus denen schon Rauch aufsteigt. In ihrem Bauch flimmert es vor Freude – denn solch einen Baumfreund gefunden zu haben, ist ein großes tolles Glück!
Stephanie Blesene im November 2018