Hast du schon mal ein Kind beobachtet, das einen Frosch im Gras entdeckt?
Wie bei jedem Beutegreifer weiten sich seine Augen, sie beginnen regelrecht zu “leuchten” und seine ganze Aufmerksamkeit ist wach und präsent!
Sofort versucht es den Frosch zu fangen, aber – zack – weg ist er!
Bei solchen Erlebnissen werden die Instinkte des Körpers aktiviert und das Kind ist hellwach.
Es öffnet bei solchen Aktionen seine Sinne, schult seine Wahrnehmung, Schnelligkeit und Geduld.
Ähnlich geht es mir, wenn ich im Wald Beeren oder Pilze sammele: Wenn ich einmal eine reife Beere gefunden habe, entsteht ein Suchbild, das mich weitere reife Früchte finden lässt. Und stundenlang streife ich hoch motiviert und wach durch den Wald!
In jeder Zelle von uns Menschen, egal ob Kind oder Erwachsener, schlummert noch die Erinnerung an eine Zeit, in der wir noch als Jäger und Sammler inmitten der Natur lebten!
Leider erlebe ich in meiner Kindergartenpraxis in manchen Familien eine “Finger-weg!”-Haltung gegenüber der Natur, die dazu führt, dass sich Kinder und Erwachsene immer mehr von der spannenden Natur entfernen.
Das Naturdefizit-Syndrom führt dann dazu, dass Betroffene die wilde Natur sogar meiden.
Der Grund dafür liegt oft im Unwissen und daraus entstehen Ängste:
– Angst vor giftigen Pflanzen oder Pilzen
– Angst zu erkranken oder sich zu verletzen
– Angst vor gefährlichen Tieren
– Angst sich zu verlaufen
Als Eltern und Pädagogen haben wir die Macht, diesen Trend wieder ins Gegenteil zu kehren:
Lasst uns den Jäger und Sammler wieder aus Menschen hervorkitzeln!
Wichtig hierfür ist, dass du selbst deine Neugierde weckst :o)
Gehe raus in die Natur, weite deine Sinne und entdecke!
Mache dich schlau, welche Pflanzen essbar sind und wo man sie findet: Unsere Natur ist voll davon!
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir als Kinder Taubnesselblüten ausgesaugt haben – jeder leer gesaugte Blütenkelch war ein kleines süßes Geschmacks-Erlebnis!
Hier nun ein paar Ideen, die du einfach umsetzen kannst und die Kinder faszinieren, motivieren und ihre Naturverbindung stärken:
Erste essbare Frühlings-Kräuter, die allesamt kleine Vitaminbomben sind:
Brennessel, Bärlauch, Gänseblümchen, Giersch, Gundelrebe, Huflattich, Buchenblätter (jung), Klettenlabkraut, Löwenzahn, Spitzwegerich, Vogelmiere
Aus diesen Kräutern lassen sich Suppen, Brotaufstriche oder Salate zubereiten. Man kann sie erforschen, riechen, schmecken, mit ihnen spielen!
Ein Brennesselblatt fix abgerupft und feste gerollt ergibt einen Brennesselbonbon! Die Brennhaare werden auf diese Weise zerstört, so dass das Blatt nicht mehr brennt – eine tolle Mutprobe für wilde Kinder!
Klettenlabkraut finden Kinder soooo lustig! Dank seiner Haken “klebt” es an Stoffen und man kann sich aus den langen Ranken sogar Kopfschmuck machen!
Spitzwegerich zerdrückt oder im Mund kurz zerkaut hilft bei Mückenstichen oder Brennesselquaddeln.
In meinem Gartenteich krabbeln schon im März die lustigen Köcherfliegenlarven über die Stängel der Wasserpflanzen. Die Larven bauen sich aus Pflanzenresten, Steinchen, Stöckchen und all dem, was sie im Teich finden, eine Art “Schlafsack”. Man kann sie gut in einem Wasserglas beobachten.
Verlassene Vogelnester vom letzten Jahr untersuchen. Wir leeren unsere Meisenkästen im Februar und alle staunen über die weichen dicken Nester, die die Meisen nur mit Hilfe ihres Schnabels gebaut haben.
Auch verlassene Wespennester entdeckt man manchmal – zeige sie den Kindern, lass die Kinder das papierartige hauchdünne Nest berühren!
Selten verfliegt sich ein Vogel bei uns an der Fensterscheibe, aber neulich sauste ein Zeisig mit voller Wucht dagegen und starb. Anstatt den Vogel gleich zu “entsorgen”, zeigte ich ihn den Kindern, ließ sie das feine Gefieder berühren und alle waren begeistert, denn sonst hat man nie die Chance, einem Singvogel so nah zu kommen. Sie staunten über die kleinen Füße und Krallen und mit vielen “Oooooh!”s schauten sie sich die ausgebreiteten Flügel an – ein faszinierendes Kunstwerk der Natur!
Im Sommer reifen die Beeren! Eine frisch gepflückte reife Walderdbeere ist eine kleine Geschmacksexplosion im Mund und nicht zu vergleichen mit den übergroßen Früchten aus dem Supermarkt!
Die Angst vor dem Fuchsbandwurm führt leider dazu, dass Kinder sich keine Beeren mehr in den Mund stecken dürfen.
Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts zur Echinokokkose “nimmt der Mensch die Wurmeier durch kontaminierte Hände entweder nach direktem Kontakt mit infizierten Endwirten (Fuchs, Hund, Katze), an deren Fell die Eier haften können, oder durch Umgang mit kontaminierter Erde auf.”
Es gibt keinen erwiesenen Fall von einer Ansteckung über den Verzehr von Waldbeeren!
Demnach müssten alle Hunde- und Katzenbesitzer viel mehr Angst vor dem Kontakt zwischen Kind und Tier haben als vor den Waldbeeren, die ihre Kinder naschen.
Es ist oft das Unwissen, dass leider dazu führt, natürliche und urmenschliche Fähigkeiten und Tätigkeiten zu verbieten.
Wichtig ist, dass man essbare Pflanzen genau kennt!
Früchte von Bäumen und Büschen sind dann eine echte Leckerei: Bucheckern, rote Weißdornbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Hagebutten usw.
Viele Blüten sind essbar: Rosen, Gänseblümchen, rosa Springkraut, Rot-Klee, Knoblauchrauke, Ringelblume, Taubnessel, Giersch, Gundelrebe, Löwenzahn und viele andere!
Streut sie über`s Butterbrot, lasst die Blüten erschmecken, ertasten – erforscht sie mit allen Sinnen!
Lass uns den Spieß umdrehen und uns und unsere Kinder wieder verbinden mit diesem Urwissen, das begeistert, Erfahrungswelten öffnet, lecker schmeckt und Spaß macht!!!
- Violette Tanner
- Herausgeber: AT Verlag
- Auflage Nr. 1 (27.03.2013)
- Gebundene Ausgabe: 144 Seiten